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Veronika beschließt zu sterben

Paulo Coelho

 

 

 

Veronika beschließt zu sterben

 

Roman

 

 

 

Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann

 

 

 

Coelho, Paulo. Veronika beschließt zu sterben (German Edition) (S.3). Sant Jordi Asociados. Kindle-Version.

 

 

 

Diogenes Titel der 1998 bei Editora Objetiva Ltda., Rio de Janeiro, erschienenen Originalausgabe: ›Veronika Decide Morrer‹ Copyright © 1998 by Paulo Coelho Mit freundlicher Genehmigung von Sant Jordi Asociados, Barcelona, Spanien Alle Rechte vorbehalten Paulo Coelho: www.paulocoelho.com Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 im Diogenes Verlag Umschlagfoto: Copyright © 2000 by Tony Stone Bilderwelten, München

 

 

 

Für St. T. de L., die, ohne daß ich es merkte, angefangen hatte, mir zu helfen

 

 

 

Veröffentlicht als Diogenes Taschenbuch, 2002 Alle deutschen Rechte vorbehalten Copyright © 2000 Diogenes Verlag AG Zürich www.diogenes.ch 1200/02/43/1 ISBN 3 257 23305 1

 

 

 

Siehe, ich habe euch Vollmacht verliehen, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch beschädigen. Lukas, 10:19

 

 

 

Am 11. November 1997 entschied Veronika, jetzt sei es – endlich – an der Zeit, sich das Leben zu nehmen. Sie machte ihr Zimmer sauber, das sie in einem Kloster gemietet hatte, stellte die Heizung ab, putzte die Zähne und legte sich aufs Bett. Sie nahm die vier Schachteln mit den Schlaftabletten vom Nachttisch. Lieber wollte sie eine Tablette nach der anderen nehmen, anstatt sie zu zerdrücken und in Wasser aufzulösen, da schließlich zwischen Absicht und Umsetzung einer Absicht ein himmelweiter Unterschied besteht und sie sich die Freiheit bewahren wollte, es sich auf halbem Weg noch einmal anders überlegen zu können. Doch mit jeder heruntergeschluckten Tablette wurde sie sich ihrer Sache sicherer: Nach fünf Minuten waren alle Schachteln leer. Da sie nicht genau wußte, wie lange es dauern würde, bis sie das Bewußtsein verlor, hatte sie neben sich auf dem Bett die neuste Ausgabe des französischen Männermagazins Homme, die gerade erst in der Bibliothek eingetroffen war, in der sie arbeitete. Sie war beim Durchblättern der Zeitschrift zufällig auf einen Artikel über ein Computerspiel von Paulo Coelho gestoßen. Sie hatte den brasilianischen Schriftsteller bei einem Vortrag im Hotel Grand Union kennengelernt und ein paar Worte mit ihm gewechselt. Beim Abendessen, zu dem sie Coelhos Verleger sogar eingeladen hatte, ergab sich in der großen Runde jedoch keine Gelegenheit für ein Gespräch mit ihm. Weil sie den Autor kennengelernt hatte, dachte sie, er sei auch Teil ihrer Welt, und etwas über seine Arbeit zu lesen würde ihr bestimmt helfen, sich die Zeit zu vertreiben. Während sie auf den Tod wartete, begann Veronika über ein Computerspiel zu lesen, etwas, das sie im Grunde überhaupt nicht interessierte. Aber das war typisch für sie. Ihr ganzes Leben hatte sie den Weg des geringsten Widerstands beziehungsweise das Nächstliegende gewählt, wie zum Beispiel jetzt diese Zeitschrift. Die Beruhigungsmittel hatten sich in ihrem Magen noch nicht aufgelöst, aber Veronika war von Natur aus passiv. Bereits die erste Zeile jedoch riß sie unverhofft aus ihrer Lethargie und führte dazu, daß sie zum ersten Mal überlegte, ob an dem Modeausdruck »nichts auf dieser Welt geschieht zufällig« nicht doch etwas Wahres sei. Wieso dieser erste Satz gerade jetzt, da es ans Sterben ging? Welche verborgene Botschaft starrte ihr da entgegen, sofern es überhaupt so etwas wie verborgene Botschaften gibt und nicht einfach Zufälle. Unter einem Bild aus diesem Computerspiel leitete der Journalist sein Thema mit der Frage ein: »Wo liegt Slowenien?« ›Keiner weiß, wo Slowenien liegt‹, dachte sie. ›Nicht einmal das.‹ Doch Slowenien gab es, und es lag dort draußen, hier drinnen, in den Bergen ringsum und auf dem Platz vor ihrem Fenster: Slowenien war ihre Heimat. Sie legte die Zeitschrift zur Seite. Warum sollte sie sich jetzt über eine Welt aufregen, die nichts von Slowenien wußte: Die Ehre ihrer Nation ging sie nichts mehr an. Jetzt galt es, stolz auf sich selbst zu sein, sich zu ihrer Tat zu gratulieren, dazu, daß sie endlich den Mut gefunden hatte, dieses Leben zu verlassen: Welch eine Freude! Und sie tat es so, wie sie es sich immer ausgemalt hatte – mit Tabletten, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen. .....................................................

Coelho, Paulo. Veronika beschließt zu sterben (German Edition) (S.8-9). Sant Jordi Asociados. Kindle-Version.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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