Ein Feuer im Ozean

Christoph Ransmayr

 

 

 

Morbus Kitahara

 

(Roman)

 

 

 

I    Ein Feuer im Ozean

 

 

 

Zwei Tote lagen schwarz im Januar Brasiliens. Ein Feuer, das seit Tagen durch die Wildnis einer Insel sprang und verkohlte Schneisen hinterließ, hatte die Leichen von einem Gewirr blühender Lianen befreit und ihnen auch die Kleider von ihren Wunden gebrannt: Es waren zwei Männer im Schatten eines Felsüberhanges. Sie lagen wenige Meter voneinander entfernt in menschenunmöglicher Verrenkung zwischen Farnstrünken. Ein rotes Seil, das die beiden miteinander verband, veschmorte in der Glut.

 

            Das Feuer loderte über die Toten hinweg, löschte ihre Augen und Gesichtszüge, entfernte sich prasselnd, kehrte im Sog der eigenen Hitze noch einmal wieder und tanzte auf den zerfallenden Gestalten, bis ein Wolkenbruch die Flammen in die eisengrau Asche gestürzter Quaresmeirabäume zurücktrieb und schließlich alle Glut in das feuchte Herz der Stämme zwang. Dort erlosch der Brand.

 

            So blieb ein dritter Leichnam von der Einäscherung verschont. Weitab von den Überresten der Männer lag eine Frau unter Luftwurzeln und schaukelnden Trieben. Ihr schmaler Körper war von Schnabelhieben zerhackt, ein Fraß schöner Vögel, war zernagt, ein Labyrinth der Käfer, Larven und Fliegen, die diese große Nahrung umkrochen, umschwirrten, umkämpften: ein Flor aus seidig glänzenden Flügeln und Panzern; ein Fest.

 

            Der Pilot eines Vermessungsflugzeuges, das in diesen Tagen über Bahia de São Marcos dröhnende Schleifen zog und vor aufziehenden Sturmwolken immer wieder nach dem Cabo do Bom Jesus abdrehte, sah auf jener felsigen, kaum zehn Seemeilen vor der Atlantikküste umbrandeten Insel die Bänder der Buschfeuers dahin und dorthin verlaufen, einen rauchenden, verrückten Weg durch die Wildnis. Der Landvermesser überflog die Verwüstung zweimal und schloß dann einen von atmosphärischem Rauschen gestörten Funkspruch mit jenem Eintrag, der auf seiner Karte unter dem Namen der Insel stand: Deserto. Unbewohnt.

 

(5. Auflage: April 2008 – S.Fischer Verlags GmbH – Beginn und Auszug - Seite 7-8)

 

 

 

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