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Vater unser

UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE.

 

Damit beginnt der zweite Teil des Gebets an unseren Herrn. Während der erste sich der Anrufung des Herrn widmete, bitten wir nun um etwas für uns. Wir haben unsere Gedanken auf ihn gelenkt, der uns liebt. Nun hoffen wir, dass er sich unser annimmt: »Unser tägliches Brot gib uns heute.« Mir fällt hier vor allem der Plural auf. Gib »uns«: Da du »unser« Vater bist, glaube ich, dass du heute an mich denkst, an diesem bestimmten Tag. All das geschieht, während wir an der Tafel sitzen, denn das Reich Gottes, wie es im Evangelium aufscheint, ist eben dies. Jesus verwendet dieses Bild häufig. Das Reich Gottes ist immer ein Fest. Wir sitzen zusammen an einer Tafel. Also gib uns zu essen. Ob es sich nun um ein festliches Beisammensein handelt oder um unsere Nahrung im Alltag, wir sitzen an seiner Tafel. Die Kraft der Präsenz Gottes in der Welt zeigt sich an der Tafel, in der Eucharistiefeier mit Jesus, gemeinsam mit Jesus. Daher bitten wir darum, dass alle etwas zu essen haben mögen. Schenk uns die geistige Nahrung, die uns stärkt in der Eucharistie, aber gib auch allen zu essen in dieser Welt, in der die Knute des Hungers so grausam zuschlagen kann. Wenn wir das Vaterunser beten, ist es sinnvoll, bei dieser Bitte kurz innezuhalten: »Unser tägliches Brot gibt uns heute« – mir und allen anderen. Überlegen wir doch nur, wie viele Menschen eben dieses tägliche Brot nicht haben. Als ich noch klein war, hat man uns beigebracht, jedes Stück Brot, das zu Boden fiel, aufzuheben und zu küssen: Brot wurde nie weggeworfen. Das Brot ist Symbol der Einheit des Menschengeschlechts, Symbol der Liebe Gottes zu dir, die so groß ist, dass er dir zu essen gibt. Wenn Brot übrig blieb, was taten dann die Großmütter und Mütter damit? Sie weichten es in Milch ein und machten daraus eine Süßspeise: Was immer auch geschah, man warf kein Brot weg. Meine Oma hat mich und meinen Bruder immer ausgeschimpft, wenn wir aus Brotkrumen Kügelchen formten und uns damit beschossen. Da hieß es gleich: »Kinder, mit Brot spielt man nicht.« Und diesen Satz höre ich heute noch, wenn ich als Priester bei der Messe die Hostie hochhebe: Auch mit diesem Brot, vor allem mit diesem Brot, spielt man nicht. Denn für einen Christen ist das wahre Brot die Eucharistie. Aber nicht nur! Wir dürfen das ganz gewöhnliche Brot nicht aus den Augen lassen. Denn es gehört zu den Werken der Barmherzigkeit, den Hungernden zu essen zu geben. Gerade in der Haftanstalt stelle ich mir die Eucharistie manchmal weniger als Privileg vor denn als Arznei. Wenn ich gefehlt habe, habe ich es bitter nötig, dass Gott mir sein Brot nicht verweigert, sondern mir zeigt, dass ich trotz allem sein Kind bin. Ganz zu Recht. Und wenn es mir erlaubt ist, mache ich hier mal ein bisschen Eigenwerbung: Auch ich habe in Die Freude des Evangeliums geschrieben: »Die Eucharistie ist […] nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen.« Denn die Eucharistie zeigt mir, dass Gott mich im Herzen hat, selbst wenn ich gestrauchelt bin.

 

 

 

Franziskus, Papst. Vater unser: Das Gebet Jesu neu gelesen (German Edition) . Kösel-Verlag. Kindle-Version.

 

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