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Das Dasein und das Schamgefühl

DIE EXISTENZ ANDERER

 

I

Das Problem

 

 

Wir haben die menschliche-Realität von den negativen Verhaltensweisen und vom Cogito aus beschrieben. Wir haben nach diesem Leitfaden entdeckt, dass die menschliche-Realität für-sich-war. Ist das alles, was sie ist? Ohne unsere Haltung einer reflexiven Beschreibung aufzugeben, können wir Bewußtseinsmodi antreffen, die, obwohl sie in sich selbst streng für-sich bleiben, einen radikal verschiedenen ontologischen Strukturtypus anzuzeigen scheinen. Diese ontologische Struktur ist meine, in Hinsicht auf mich sorge ich mich, und dennoch entdeckt mir dieses Sorgen „für-mich“ ein Sein, das mein Sein ist ohne für-mich-zu-sein.   

Betrachten wir zum Beispiel das Schamgefühl. Es handelt sich um einen Bewußtseinsmodus, dessen Struktur mit allen denen identisch ist, die wir bisher beschrieben haben. Es ist nicht-setzendes Bewußtsein (von) sich als Scham, und als solches ist es ein Beispiel für das, was die Deutschen „Erlebnis“ nennen, es ist der Reflexion   zugänglich. Außerdem ist seine Struktur intentional, es ist schamerfülltes Erfassen von etwas, und dieses etwas bin ich. Ich schäme mich, dessen was ich bin. Die Scham realisiert also eine intime Beziehung von mir zu mir: durch die Scham habe ich einen Aspekt meines Seins entdeckt. Und dennoch ist die Scham, obwohl gewisse komplexe, abgeleitete Formen der Scham auf der reflexiven Ebene erscheinen können, ursprünglich kein Reflexionsphänomen. Welche Ergebnisse man auch immer im Alleinsein durch die religiöse Praktik der Scham erhalten mag, die Scham ist in ihrer primären Struktur Scham vor jemandem. Ich habe mich ungeschickt oder grob benommen: dieses Benehmen haftet an mir, ich beurteile und tadle es nicht, ich lebe es einfach, ich realisiere es nach dem Modus des Für-sich. Aber plötzlich hebe ich den Kopf: jemand war da und hat mich gesehen. Mit einemmal realisiere ich die ganze Grobheit meines Benehmens und schäme mich. Meine Scham ist gewiß nicht reflexiv, denn die Anwesenheit Anderer bei meinem Bewußtseins, und sei es in der Weise eines Katalysators, ist unvereinbar mit der reflexiven Haltung: im Feld meiner Reflexion kann ich immer nur dem Bewußtsein begegnen, das meines ist. Doch der Andere ist der unentbehrliche Vermittler zwischen mir und mir selbst: ich schäme mich meiner, wie ich Anderen erscheine.  (Jean Paul Sartre: Das Sein und das Nichts – Versuch einer phänomenologischen Ontologie-Seite 405-406)

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